"Theologisches Terzett spezial"

Spannender Austausch

REGENSBURG – An das „Literarische Quartett“ Marcel Reich-Ranickis sei das „Theologische Terzett“ angelehnt, sagte Achim Budde, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern, am vergangenen Sonntagabend in Regensburg: Anlässlich des Geburtstags von Papst Benedikt XVI. am 16. April stellten Bischof Rudolf Voderholzer, Annette Schavan und Jan-Heiner Tück Veröffentlichungen Joseph Ratzingers vor.

Dass sich mit Blick auf das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ein freundlich ausgetragener Dissens ergab, war eingepreist. Konsens herrschte darin, dass kein hagiographischer Zugang geboten werde. Auch den Verächtern Joseph Ratzingers unter den Gebildeten sollte das Potenzial seiner Theologie und seines Denkens aufgezeigt werden. Oberstes Ziel alles dessen war es, Joseph Ratzinger zu ehren. Ein munterer, ernster und gelegentlich spannungsgeladener, aber vor allem spannender Austausch wurde daraus, mit dem Unterschied zum Literarischen Quartett, dass trotz verschiedener Perspektiven kein Diskutant das Podium verließ.

Bezug zu Regensburg

Schavan, vormals Bundesbildungsministerin und Botschafterin beim Heiligen Stuhl, war als Kennerin des ZdK angetreten; Bischof Voderholzer ist Gründungsdirektor des Instituts Papst Benedikt XVI.; Tück, der moderierte, ist Dogmatiker an der Universität Wien. Das Akademische Forum Albertus Magnus Regensburg und die Katholische Erwachsenenbildung waren Mitveranstalter. Warum das Ganze in Regensburg? Christian Schaller, stellvertretender Direktor des In­stituts Papst Benedikt XVI., verwies auf Ratzingers sieben Jahre Tätigkeit in Regensburg. Nichts wurde über dessen Jesus-Bücher, die „Einführung ins Christentum“ und „Der Geist der Liturgie“ gesprochen. Plan war es stattdessen, sich von der Peripherie zu nähern. Der Regensburg-Bezug war immer wieder gegeben.

So hatte Joseph Ratzinger zu Beginn seiner Zeit an der Donau mit Hans Maier das Verhältnis von Demokratie und Kirche abgesteckt, woraus die Publikation „Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen“ (1970) erwuchs. Die stellte Schavan vor, die einen Teil der Motivation Ratzingers in einem „Trauma in Tübingen“ ausmachte, der von der Studentenrevolte „erschüttert“ gewesen sei. Voderholzer rückte zurecht, dass es Joseph Ratzinger zu seinem Bruder, nicht zuletzt auch zu seiner Schwester in die „Heimat“ gezogen habe. Schavan kritisierte: „Was hier in Ratzinger steckt, hätte man tun können. Der Reformstau wäre heute geringer.“

Bischof Voderholzer trug vor, Ratzingers Aussagen seien wie ein vorgreifender Kommentar zum ­Synodalen Weg. Viel Wünschenswertes sei aber seither geschehen: Die Laien seien Subjekte, das Rätesystem ermögliche Beratung und Entscheidung. „Wir haben Kompetenzen von Fachleuten einbezogen, was gar nicht denkbar war.“ Voderholzer kritisierte: „Die Kirche, soweit sie sich im ZdK darstellt, kreist immer mehr um sich selbst.“ Das Zweite Vatikanische Konzil habe aber den Weltauftrag der getauften und gefirmten Christen in Politik, Wissenschaft und Medien betont. Angesichts der Fokussierung auf Themen innerkirchlicher Partizipation im Synodalen Weg sei ein Perspektivwechsel nötig. Was Annette Schavan mit dem Hinweis konterte, die Bischofskonferenz habe das ZdK gebeten, diesen „Weg“ zu gehen. 

Betreffend Ratzingers Kritik am ZdK, wonach das politisch Machbare zum Maßstab werde, gab Schavan mit einer Prise betrübt-betroffener Ironie zurück: „Dazu muss man sich bald keine Sorgen mehr machen.“ Sie deutete an, dass es einen Einfluss wie früher nicht mehr gebe. Die Auseinandersetzungen um „Donum Vitae“ kommentierte sie mit Hinweis auf „die absurden Kompromisse“ in Deutschland, die nicht zur Verbesserung des Lebensschutzes geführt hätten. Schavan durchaus unbekümmert: „Das Ergebnis zählt.“

Gut kam Dogmatiker Tück dem Auftrag zur Moderation nach: „Ratzinger warnte vor dem Positivismus einer kirchlichen Selbstbetriebsamkeit.“ Die Kirche sei aber exzentrisch auf Christus bezogen. Demgegenüber stellte Schavan pointiert fest: „Wir sind ins ZdK gegangen, um als katholische Christen Politik zu prägen, nicht um die Kirche zu verändern.“ Das ZdK sei ein wichtiger Raum des Gedankenaustauschs und der Prägung der Sozialgesetzgebung aus der Katholischen Soziallehre und der Evangelischen Sozialethik. Was die von Schavan vorgestellten „Reden vor dem Bundestag und der UN“ Benedikts XVI. betrifft, kritisierte die Politikerin, dieser konzentriere sich auf das, was für die Politik unverfügbar ist, nicht auf das Potenzial zur Gestaltung.

Einheit der Testamente

Voderholzer hatte bei der Präsentation des Bandes „Die Tochter Zion“ (1977) einen theologischen und im Übrigen auch geistlichen Zugang im Sinn. Für ihn war die Publikation für die Wahl des Dissertationsthemas providentiell. Darin habe er gelernt, die Einheit der Testamente zu sehen – ein Strukturprinzip der biblischen und der katholischen Theologie. „Seitdem habe ich keine Probleme mehr mit den alttestamentlichen Lesungen in der Osternacht.“ Auch habe ihm Ratzingers These viel geholfen: „Ohne dieses typologische Erschließen versteht man die Liturgie nicht.“ Überhaupt habe dieser die historisch-kritische Exegese „nicht verabschiedet, sondern ergänzt“. Diese Art der Theologie biete viele Anknüpfungspunkte für die Kultur.

Vor allem aber hob Voderholzer die hier deutliche biblische Anthro­pologie hervor und kritisierte die Foren 3 und 4 des Synodalen Weges: „Das Alte Testament impliziert eine Theologie der Frau und der Ehe und es setzt die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau voraus.“ Es begegne nichts Geringeres als die Grammatik der biblischen Offenbarung; wobei Voderholzer andere Tendenzen als „fast gnostische Relativierung dieser Schöpfungstatsache“ benannte: „Meine Hauptvorbehalte beziehen sich auf die fundamentale Infragestellung der biblischen Anthropologie unter Berufung auf die vermeintlich gesicherten Ergebnisse der Humanwissenschaften.“ Ein wesentlich anthropologischer Sachverhalt zerrinne durch die Finger.

Tück stellte die Enzyklika „Spe salvi“ und ihre übersehenen Vorzüge vor. Ratzinger habe darin eine neue Form von Eschatologie entwickelt, „die mit der Ausrichtung auf Christus ernst macht: mit der Nähe und Ferne, die wir Gott gegenüber eingenommen haben“. Dass es eine Gerechtigkeit gibt für die Opfer, deren Leiden in der Geschichte nicht abgegolten wurden, sei eines der stärksten Argumente für die Existenz Gottes. Voderholzer sekundierend: „Ob die Hölle leer sei, lässt Benedikt bewusst offen. Die Reflexion hört hier besser auf, die Theologen haben zu schweigen und sollen beten.“

Philosoph Sigmund Bonk, Direktor des Akademischen Forums, zog ein Fazit und erinnerte vermittelnd an Ratzingers Vorliebe für das menschliche Leben in „Urphänomenen des Daseins“: Heimat, Gebet, vertrautes Familienleben, Musik. 

Veit Neumann

19.04.2023 - Bistum Regensburg